3. August 2020
Im Vergleich zu Untersuchungen an Pflanzen sind in der medizinischen Forschung mehr Arbeiten über unbeabsichtigte Ergebnisse und Risiken durch Gen-Editierungen von menschlichen und tierischen Zellen sowie von Labortieren veröffentlicht worden. Deren Ergebnisse haben Auswirkungen für die Gen-Editierung von Nutztieren. Die bei Gen-Editierung von Menschen und Tieren gefundenen Probleme bestätigen sich gerade zunehmend auch bei der Gen-Editierung von Pflanzen.
Die im Folgenden zusammengefassten unbeabsichtigten Mutationen (DNA-Schäden) treten auf, nachdem das Gen-Editierungs-Werkzeug seine Aufgabe, einen Doppelstrang-DNA-Bruch zu verursachen, abgeschlossen hat. Die Mutationen treten als Folge der DNA-Reparaturmaschinerie der Zelle auf, über die der Gentechniker keine Kontrolle hat.
Selbst wenn es den Wissenschaftlern also irgendwann gelingt, Off-Target-Mutationen – das sind Veränderungen abseits des anvisierten Ziel-Ortes im Genom - zu vermeiden, können die meisten der beschriebenen unbeabsichtigten Mutationen immer noch an der beabsichtigten Gen-Editierungs-Stelle auftreten.
Dieser Mangel an vollständiger Kontrolle über das Gen-Editierungs-Verfahren sowie die Lücken in unserem Wissen über dessen Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit einer strengen Regulierung der Gen-Editierung bei Nahrungspflanzen und Nutztieren hin. Die Regulierung muss von der Berücksichtigung des gentechnischen Prozesses ausgehen, der zur Erzeugung des gen-editierten Organismus verwendet wird ("prozessbasierte Regulierung"), damit die Regulierungsbehörden wissen, wo Dinge schief gehen können und worauf sie achten müssen.
1. NOTWENDIGKEIT DER REGULIERUNG
Neue gentechnisch veränderte Pflanzen weisen keine Geschichte der sicheren Verwendung auf und sollten nicht von der Bewertung der biologischen Sicherheit ausgenommen werden.
Eckerstorfer MF et al (2019). Front Bioeng Biotechnol 7:31. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fbioe.2019.00031/full
Gelinksky E und Hilbeck A (2018). Environ Sci Europe 30(1):52.
https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-018-0182-9
Kawall K et al (2020). Environmental Sciences Europe Band 32, Artikelnummer: 106 (2020) https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-020-00361-2
2. DIE DURCH GEN-EDITIERUNG HERVORGERUFENEN VERÄNDERUNGEN SIND NICHT DIE GLEICHEN, WIE SIE IN DER NATUR VORKOMMEN
Gen-Editierung macht das gesamte Genom für Veränderungen zugänglich - im Gegensatz zu natürlich vorkommenden genetischen Veränderungen.
Kawall K (2019). Frontiers in Plant Science 10:525. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpls.2019.00525/full
3. UNBEABSICHTIGTE MUTATIONEN
Nachfolgend finden Sie eine Auswahl von Studien, die verschiedene Arten von unbeabsichtigten Mutationen zeigen, die aus der Gen-Editierung resultieren und die Funktion mehrerer Gensysteme beeinflussen können. Die Folgen sind eine Veränderung der Protein- und biochemischen Funktion der Pflanze, was zu einer schlechten Pflanzenleistung und/oder der Produktion neuartiger Toxine und Allergene oder höheren Konzentrationen bestehender Toxine und Allergene führen kann.
Mutationen abseits des Ortes der geplanten Genom-Veränderung
Gen-Editierungs-Werkzeuge, insbesondere CRISPR, neigen dazu, Mutationen (Schäden) an anderen Stellen der DNA des Organismus als an der vorgesehenen Editierungsstelle zu verursachen ("Off-Target-Mutationen"). Dies kann die Funktion anderer Gene verändern, mit unbekannten Folgen für die biochemische Zusammensetzung und Funktion.
Wolt JD et al (2016). The Plant Genome 9(3):10.3835/plantgenome2016.05.0047. https://acsess.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.3835/plantgenome2016.05.0047
Zhu C et al. (2017). Trends in Plant Science 22(1):38-52. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27645899
Große Löschungen und Umstellungen der DNA sowohl an Off-Target- als auch an On-Target-Geneditierungsstellen (d. h. am Ziel-Ort)
Große Löschungen („deletions“) und Umstellungen („rearrangements“) des Pflanzengenoms, die Tausende von Genbausteinen (d. h. Nukleotide) der DNA umfassen können, wurden nach CRISPR-Gen-Editierungen beobachtet. Diese Mutationen können die Funktion vieler Gene beeinflussen, was zu Veränderungen in der Protein- und biochemischen Zusammensetzung der Pflanze führt.
Biswas S et al (2020). Journal of Genetics and Genomics. May 21. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1673852720300916
Kosicki M et al (2018). Nature Biotechnology 36:765-771. https://www.nature.com/articles/nbt.4192
Mou H et al. (2017). Genome Biology 18:108. https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-017-1237-8
Shin HY et al. (2017). Nature Communications 8, 15464 (2017). https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28561021
Entstehung neuer Gensequenzen führt zu neuen RNA- und Proteinprodukten
Die Veränderung des genetischen Codes des anvisierten Gens kann mutierte Formen des Proteins, für das es kodiert, sowie neue RNA und neue Proteinprodukte erzeugen.
Diese Ergebnisse können zu Veränderungen in der Biochemie der Pflanze führen.
Mou H et al. (2017). Genome Biology 18:108. https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-017-1237-8
Tuladhar R et al. (2019). Nat Commun 10, 4056 (2019). https://www.nature.com/articles/s41467-019-12028-5
Smits AH et al. (2019). Nat Methods 16, 1087-1093. https://www.nature.com/articles/s41592-019-0614-5
Durch das Gen-Editierungs-Verfahren ausgelöste Mutationen
Der Gen-Editierungs-Prozess als Gesamtes (bestehend einschließlich aus dem Transformationsprozess der gentechnischen Veränderung (GV) und der Pflanzengewebekultur) löst Hunderte von unbeabsichtigten Mutationen im gesamten Genom der Pflanze aus. Dies kann mehrere Genfunktionen mit unbekannten Folgen für die Proteinbiochemie und die Stoffwechselaktivität beeinflussen.
Tang X et al (2018). Genome Biology 19:84. https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-018-1458-5
Einschleusen von Fremd- und Kontaminations-DNA in das Genom an Editierungs-Stellen
Nach der Erzeugung eines Doppelstrang-DNA-Bruchs durch das CRISPR-Geneditierungs-Werkzeug kann die Reparatur unerwartetweise die Einfügung und Wiedervereinigung der abgebrochenen DNA-Enden von der bei SDN-2 und SDN-3 1 verwendeten Rekombinations-Template-DNA oder die Einfügung von kontaminierender DNA mit einschliessen, die in Materialien vorhanden ist, die für die Pflanzengewebekultur verwendet werden.
Diese Einfügung von Fremd-DNA in das Genom der Pflanze, die sowohl an Off-Target-Stellen als auch an der beabsichtigten On-Target-Editierungsstelle stattfinden kann, hat den Effekt, dass neue Genfunktionen eingeführt und die Funktion von Wirtsgenen gestört werden. Diese Effekte können sich miteinander kombiniert auswirken und dadurch die biochemische Funktion der Pflanze auf unerwartete Weise verändern.
Berichte (Norris et al., 2020; Skryabin et al., 2020; Molteni 2020) beschreiben die Einfügung („Insertion“) der ganzen Plasmid-DNA-Moleküle, die als Rekombinationsvorlage („recombination template“) für das SDN-2- oder SDN-3-Verfahren[1] dienten.
Die Insertion dieser Plasmid-DNA-Vorlage führt unweigerlich dazu, dass mindestens ein Antibiotikaresistenzgen in das Genom eingebaut wird, da diese ein Bestandteil der Plasmide sind.
Dies birgt die Gefahr der Übertragung von Antibiotikaresistenzgenen auf krankheitsverursachende Bakterien in der Umwelt und - was noch besorgniserregender ist - im Darm des Verbrauchers, was den medizinischen Einsatz von Antibiotika gefährden würde.
Norris AL et al (2020). Nat Biotech 38(2):163-164. https://www.nature.com/articles/s41587-019-0394-6
MEDIENARTIKEL: Molteni M (2020). WIRED, 24. Juli. https://www.wired.com/story/a-crispr-calf-is-born-its-definitely-a-boy/
Skryabin BV et al. (2020). Science Advances 6(7), eaax2941. https://advances.sciencemag.org/content/6/7/eaax2941
Ono R et al. (2019). Communications Biology 2: 57. https://www.nature.com/articles/s42003-019-0300-2.pdf?origin=ppub
Für weitere Details zu einzelnen Studien siehe:
https://www.gmwatch.org/en/news/latest-news/19223
Fussnote
1. Die Anwendungen, bei denen die Gen-Scheren eingesetzt werden, können in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden: Wenn keine zusätzliche DNA eingeführt wird, spricht man von zielgerichteten Nuk¬leasen (bzw. site-directed nucleases, SDN) vom Typ 1 (SDN-1). Zu dieser Kategorie gehören die meisten der bisherigen Anwendungen an Pflanzen und Tieren. Von SDN-2 spricht man, wenn kurze Genbausteine (Basenpaare) eingefügt werden, um die Funktion des ursprünglichen Gens zu verändern. Wenn zusätzliche Gene eingefügt werden, spricht man von SDN-3-Verfahren. (zitiert aus „ Warum die Neue Gentechnik strikt reguliert werden muss“ von Testbiotech)
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Daten des englischen Original-Artikels:
Titel: Gene editing: Unexpected outcomes and risks
Autor: GMWatch
Fachlicher Berater für den Artikel: Dr Michael Antoniou
Veröffentlicht am: 3.08.2020
Veröffentlicht bei: https://gmwatch.org/en/news/latest-news/19499
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Bearbeitung ins Deutsche und Einfügung der Fussnote durch die GenAG/attac-bielefeld - Juni 2021
Weitere Leseempfehlung:
ENSSER (European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility) und CSS (Critical Scientists Switzerland) haben 2021 einen wissenschaftlichen Bericht zur Regulierung des "Genome Editing" veröffentlicht.
Der Bericht kritisiert frühere Stellungnahmen der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und des European Academies Science Advisory Council (EASAC), indem er zeigt, dass diese Stellungnahmen nicht wissenschaftlich objektiv und ausgewogen sind und keinen Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft insgesamt darstellen:
Dieser Bericht trägt den Titel: "Wissenschaftliche Kritik der Leopoldina- und EASAC-Stellungnahmen zu genome-editierten Pflanzen in der EU".
Es gibt eine Zusammenfassung in Deutsch:
https://ensser.org/wp-content/uploads/2021/04/Greens-EFA-GMO-Study-DE-Executive-Summary-1.pdf
Sowie die gesamte Studie in Englisch bei:
https://ensser.org/wp-content/uploads/2021/04/Greens-EFA-GMO-Study-1.pdf