Der leitende Ermittler gilt als eine der widersprüchlichsten und unzuverlässigsten Stimmen zu diesem Thema. Jonathan Matthews berichtet
Empörung und Ungläubigkeit haben die Ankündigung begleitet, dass Peter Daszak, Präsident der EcoHealth Alliance, ausgewählt wurde, eine Arbeitsgruppe zu leiten, die im Rahmen einer Untersuchung zu der Herkunft des Virus die Möglichkeit eruieren soll, ob Covid-19 aus einem Labor hervorgegangen sein könnte.
Daszak hat versprochen, die Untersuchung "mit einem offenen Geist" durchzuführen. Aber das ist schwer vorstellbar, wenn man bedenkt, dass er zuvor hypothetische Überlegungen, dass SARS-CoV-2 aus einem Labor nach draußen gelangt sein könnte, als "absurd", "grundlos", "verrückt", "Verschwörungstheorien" und "reiner Quatsch" zurückgewiesen hat.
Ein Super-Verbreiter von Fehlinformationen
Daszaks Untersuchung ist Teil der Arbeit der Lancet Covid-19 – Kommission, einem Gremium, das im Juli ins Leben gerufen wurde, um den Umgang mit der Pandemie zu betrachten und "praktische Lösungen anzubieten". In einer Erklärung sagte die Kommission, es sei "äußerst wichtig, dass die Forschung über die Ursprünge von SARS-CoV-2... auf wissenschaftliche und objektive Weise stattfindet, die nicht durch geopolitische Agenden und Fehlinformationen behindert wird".
Aber Daszak selbst wird von Kritikern wie dem Mikrobiologen Richard Ebright von der Rutgers-Universität, der ihn beschuldigt hat, "in einem Ausmaß wie Trump" zu lügen, und dem Evolutionstheoretiker Bret Weinstein, der ihn als "Patient Null für Fehlinformationen" über die Ursprünge von Covid-19 bezeichnet hat, für einen Super-Verbreiter von Fehlinformationen angesehen.
Ein Interessenkonflikt von über 100 Millionen Dollar
Zudem gibt es die Frage von Interessenkonflikten. Obwohl Daszak im The Lancet erklärte, dass er "keine konkurrierenden Interessen" in Bezug auf Covid-19 aufweise, und der Washington Post ebenfalls mitteilte, dass er "keine Interessenkonflikte" habe, weist Alina Chan, Molekularbiologin am Broad Institute, darauf hin, dass er ein "langjähriger Freund, Mitarbeiter und Geldgeber des Shi-Labors" sei – nämlich des Labors innerhalb des Wuhan Institute of Virology (WIV) unter der Leitung von Shi Zhengli, das am häufigsten als wahrscheinliche Quelle einer Laborlecks identifiziert wird.
Tatsächlich hat Daszaks EcoHealth Alliance sowohl die Fledermaus-Coronavirus-Überwachung des Wuhan Institute of Virology (WIV) als auch dessen Fledermaus-Coronavirus-Gain-of-Function-Forschung (Funktions-Vermehrungs-Forschung mit dem Ziel, ein Virus infektiöser zu machen) mit Hilfe von Zuschüssen der US-Regierung in Höhe von mehreren Millionen Dollar mitfinanziert.
Das bedeutet natürlich, dass Daszaks eigene Aktivitäten für das Thema, das er untersucht, von Bedeutung sind: die Entstehung einer sich von Fledermäusen herrührenden Coronavirus-Pandemie, die genau in derjenigen Stadt ausbrach, in die von ihm unterstützte Laboranten die Fledermaus-Coronaviren zur Lagerung, Analyse und zum Experimentieren hinbrachten.
Wie Richard Ebright dazu anmerkte: "Für Personen, die direkt an der Finanzierung, Förderung und/oder Durchführung der Fledermaus-Coronavirus-Forschung und der Fledermaus-Coronavirus-Funktions-Vermehrungs-Forschung am WIV beteiligt waren, stellt die Vermeidung einer möglichen Feststellung von Schuld an der Auslösung einer Pandemie eine starke Motivation dar“. Und Daszak stände dabei ganz oben auf der Liste derjenigen, die an der Finanzierung, Förderung und Zusammenarbeit dieser Forschung beteiligt sind.
Im weiteren Sinne, wie Ebright ebenfalls anmerkt, hat Daszaks EcoHealth Alliance von US-Regierungsbehörden mehr als 100 Millionen US-Dollar für die Finanzierung von einer Vielzahl von Arbeiten zur Virus-Überwachung und zur Vermehrung der Virusfunktion[en] erhalten – [das ist] die Art von Arbeiten, die ernsthaft in Frage gestellt werden könnten, wenn Daszak Beweise dafür fände, dass sie zur Auslösung der Pandemie beigetragen haben.
Ebright fragt sich, wie es [das Medizin-Journal] The Lancet schaffte, einen solch enormen Interessenkonflikt zu übersehen, während Dr. Filippa Lentzos, eine Expertin für biologische Bedrohungen am King's College London, twitterte: "Meine Güte. Ich kann mir keinen leitenden Ermittler mit mehr Eigeninteressen vorstellen!"
Weitere Fehlinformationen
Alina Chan vom Broad Institute schlägt in aller Deutlichkeit vor, dass die Lancet-Kommission "auch einfach das WIV direkt hätte bitten können, sich selbst zu untersuchen", was dem The Lancet Zeit, Geld und Mühe erspart hätte. Schließlich weist Chan darauf hin, dass sie sich [beim The Lancet] eindeutig geirrt haben, wenn sie gedacht haben sollten, dass Daszaks langjährige Wuhan-Verbindungen - er arbeitet seit 15 Jahren mit Shi Zhenglis Team auf dem Gebiet der Coronaviren zusammen – bedeuten würden, dass er in einer guten Position sei, um aufzudecken, was dort vor sich gegangen sei.
Chans Bemerkungen beziehen sich auf die Veröffentlichung einer Nachforschung durch die Sunday Times, um Einblicke zu RaTG13 zu erhalten – das ist das Fledermaus-Coronavirus, das angeblich am engsten mit SARS-COV-2 verwandt ist. Da die Journalisten der Sunday Times das WIV nicht dazu bringen konnten, irgendeine ihrer Fragen bezüglich der Geschichte von RaTG13 oder über die mangelnde Transparenz in dessen Zusammenhang zu beantworten, wandten sie sich an Peter Daszak, um [von ihm] Antworten zu erhalten.
Sie wollten wissen, warum Daszaks langjährige Mitarbeiterin Shi Zhengli und ihr Team bis zum Jahr 2020 benötigten, um eine Beschreibung des Virus zu veröffentlichen, wenn [doch], wie es jetzt erscheint, RaTG13 [bereits] im Jahre 2013 vom WIV aus einer Bergwerks-Mine herausgeholt worden war, wo Bergarbeiter [von] einer Krankheit [befallen wurden und einige daran] gestorben waren, die der von Covid-19 bemerkenswert ähnlich war. Mit anderen Worten: Wenn sie schon seit 7 Jahren davon wussten, warum wurde es plötzlich wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert, erst nachdem sich der SARS-CoV-2-Ausbruch zu einer globalen Pandemie zu entwickeln begann?
Daszak erzählte der Sunday Times, dass RaTG13 vor Ausbruch der Pandemie einfach sieben Jahre lang in einem WIV-Gefrierschrank zugebracht habe, ohne dass sich jemand dafür interessierte. Aber Alina Chan hat gezeigt, dass es Beweise aus einer Online-Datenbank gibt, dass im WIV in den Jahren 2017 und 2018 wiederholt auf RaTG13 zugegriffen wurde, obwohl Daszak der Sunday Times gesagt hatte, dass niemand beim WIV von 2013 bis 2020 oder vielleicht bis Ende 2019 "zu dieser Probe zurückkehrte", als man [schließlich] "versuchte, eine vollständige Genomsequenzierung zu erhalten". Es war diese Sequenz, die daraufhin in der Zeitschrift "Nature" veröffentlicht wurde und aufzeigte, dass sie zu 96,2% mit SARS-COV-2 identisch war.
Tatsächlich gab Shi Zhengli, nachdem sich herausstellte, dass beim WIV in den Jahren 2017 und 2018 [sehr wohl] auf RaTG13 zugegriffen worden war, in einer Fragerunde mit der Zeitschrift Science zu, dass ihr WIV-Team das am engsten mit SARS-COV-2 verwandte Virusgenom bereits 2018 vollständig sequenziert hatte, d.h. lange vor Beginn der Pandemie und nicht, wie Daszak behauptet hatte, nachdem sie begonnen hatte. Eine solche Sequenzierung kann natürlich zu Experimenten führen.
Beleidigung der Medien und der Öffentlichkeit
Zumindest zeigt dies, dass Daszak, wie Chan es taktvoll ausdrückt, "falsch informiert" über ein kritisches Thema ist, zu dem er definitive öffentliche Erklärungen abgegeben hat. Aber einige werden ihn unweigerlich eines Schlimmeren verdächtigen, da er bereits zuvor die Medien und die Öffentlichkeit mit Behauptungen beleidigt hat, die sich leicht als unwahr beweisen lassen. Um zwei einfache Beispiele hierfür zu benennen: Er hat behauptet, dass "Laborunfälle extrem selten sind", obwohl es ganz evident ist, dass sie häufig vorkommen, und dass sie "noch nie zu größeren {Krankheits-} Ausbrüchen geführt haben", obwohl es weithin als akzeptiert gilt, daß ein Leck im Labor eine frühere Pandemie (H1N1-Grippe) verursacht hat.
Tatsächlich wurde Daszaks Behauptung in den letzten Tagen erneut als Lüge entlarvt, und zwar mit der Nachricht, dass ein Leck in einem Impfstofflabor in China einen Ausbruch von Brucellose auslöst hat, durch den Tausende infiziert wurden.
Daszaks Ernennung sei "lächerlich", sagt Kristian Andersen.
In Anbetracht all dessen hat die Nachricht von Daszaks Ernennung einige verächtliche Reaktionen hervorgerufen.
Der Biotech-Unternehmer Jurij Deigin kommentierte auf Twitter und benutzte Bildzeichen [emojis] für Gelächter dazu: "Nein, das ist nicht [von] The Onion [theonion.com ist eine US-amerikanische Website mit Medien- und Nachrichtensatire] Das ist wahrhaftig ein Fall von 'wir haben uns selbst untersucht und kein Fehlverhalten festgestellt'.“
Richard Ebright antwortete: "Man könnte unmöglich eine weniger geeignete und konfliktreichere Person auswählen, um die Untersuchung zu leiten. Es sei denn, man würde Zhengli Shi selbst auswählen."
Dan Sirotkin, Mitautor des ersten von Fachkollegen überprüften wissenschaftlichen Papiers das einen möglichen Laborursprung für Covid-19 nahelegte, drückte es plastischer aus: "Peter Daszak an der Spitze zu haben, ist so, als würde Goebbels Kriegsverbrecher jagen.“
Sogar der Biologe Kristian Andersen vom Scripps Research Institute, einer der prominentesten Abstreiter eines möglichen Laborursprungs, drückte Bestürzung aus. "Nicht die richtige Person für den Job... Das ist lächerlich", twitterte er.
Warum Daszak?
Warum um alles in der Welt beauftragte die Lancet Covid-19-Kommission jemanden mit einer "objektiven" Untersuchung über den Ursprung der Pandemie, der:
1. einen Interessenkonflikt von über 100 Millionen Dollar hat
2. ein langjähriger Freund, Mitarbeiter und Geldgeber derer ist, gegen die er ermitteln wird
3. zuvor die Möglichkeit eines Laborlecks als "Spinnerei" abgetan hat
4. und eine Erfolgsbilanz ernsthaft ungenauer und irreführender Aussagen zu den fraglichen Themen aufweist?
Zwei Dinge fallen auf. Zum einen scheint der Vorsitzende der erweiterten Lancet Covid-19-Kommission, der amerikanische Ökonom Jeffery Sachs, den Standpunkt Daszaks zu teilen. Sachs hat zu Protokoll gegeben, dass die Idee einer undichten Stelle im WIV-Labor "unlogisch" sei und argumentiert, dass "weder die Biologie noch die Chronologie die Story einer Freisetzung aus dem Labor unterstützen".
Der andere Punkt ist, da es sich um eine Lancet-Kommission handelt, dass Daszak von seinen Kritikern zwar als eine der widersprüchlichsten und unverlässigsten Stimmen zu diesem Thema angesehen wird, dass dies jedoch nicht die Ansicht ist, die von den meisten Mainstream-Medien, geschweige denn von den Wissenschaftsmedien, zu denen die Lancet-Kommission gehört, vertreten wird. Es ist auch nicht die Ansicht des wissenschaftlichen Establishments.
Wissenschaft oder Zensur?
Jede einzelne der in diesem Artikel hier zitierten vernichtenden Kritiken an Daszak, die größtenteils von gut ausgebildeten Wissenschaftlern stammen, wurde aus den sozialen Medien übernommen. Im Gegensatz dazu hat der Telegraph bei der Bekanntgabe von Daszaks Ernennung kein einziges Wort der Besorgnis von irgendjemandem darüber abgedruckt, ebenso wenig wie weitere und nachfolgende Presseberichte.
Warum nicht? In einem kürzlich erschienenen Artikel von Rowan Jacobsen in der Boston Review, in dem er ein Profil von Alina Chan erstellte, wurde die Frage gestellt, ob die wissenschaftliche Gemeinschaft auf die Hypothese des Lecks im Labor mit "Wissenschaft oder Zensur" reagiere. Jacobsen bemerkte, wie schnell nach dem Ausbruch der Pandemie diese Hypothese ausgeschlossen worden sei, wobei Peter Daszak bei der Entsorgung der Hypothese sehr im Vordergrund stand. Jacobsen sagt, es habe "ein ungesunder Absolutismus eingesetzt". Er lobt aber Alina Chan dafür, dass sie diesem Trend getrotzt und das Thema aufgeschlossen untersucht und ihre Schlussfolgerungen offen und furchtlos mitgeteilt habe.
Aber niemand sollte glauben, dass dies für Chan ein leichter Weg war. Sie sagte Jacobsen: "Es ist sehr schwierig, Forschung zu betreiben, wenn eine Hypothese als Verschwörungstheorie negativ besetzt ist. Und Forscher wie Chan, die die Laborleck-Hypothese untersucht haben, berichten von ernsthaften Schwierigkeiten, ihre Beweise in Fachzeitschriften zu veröffentlichen.
Sogar der Twitter-Account der Zeitschrift Nature ist [mittlerweile] berüchtigt dafür geworden, diejenigen zu blockieren, die einen Labor-Ursprung vermuten lassen. Und Chan meint, dass einige Social-Media-Websites Jacobsens Artikel im Boston Review als "Fehlinformation" kennzeichnen, wenn Leser, die Links darauf posten, vermuten, dass SARS-CoV-2 höchstwahrscheinlich in einem Labor entwickelt wurde. Wenn dem so ist, ist das ziemlich ironisch, wenn man bedenkt, dass es in Jacobsens Artikel um Zensur geht. Und sicherlich hat man denjenigen, die ihre Ansichten weniger vorsichtig als Chan äußern, ihre Konten bei den Sozialen Medien gelöscht.
Warum also sollten Internet-Giganten, die sich die Mühe gemacht haben, rassistisches und anderes bösartig aufrührerisches Material zu entfernen oder gegen die grassierende Desinformation über den Klimawandel anzukämpfen, so sehr darauf bedacht sein, Material über die Herkunft von Covid-19 aus einem Labor zu unterdrücken?
Der Virologe Jonathan Latham, dem sogar ein Kommentar von der Guardian-Website entfernt wurde, in dem er höflich seine Uneinigkeit mit Daszak zum Ausdruck gebracht hatte, sagt: "Die wissenschaftliche Gemeinschaft hat sehr deutlich gemacht, dass sie nichts über die Herkunft aus einem Labor hören will. Sie können das in der Berichterstattung über die Pandemie sehen. Es gab einen Brief im The Lancet, in dem der Ursprung aus einem Labor als "Verschwörung" bezeichnet wurde, und was Sie daraus entnehmen können, ist, dass die hohen Tiere der Virologie, die diesen Brief unterschrieben haben, damit eine Dynamik in Gang setzten, so dass jeder, der vernünftige Theorien aufstellt, notwendigerweise zu einem Verschwörungstheoretiker wird. Jeder Wissenschaftler auf der Welt weiß, woher der Wind weht. Wir wollen sagen, dass dies ungeheuerlich ist.“
Unnötig zu sagen, dass Daszak einer der hochkarätigen Unterzeichner dieses Lancet-Briefes war. Und wenn sich nicht noch mehr Wissenschaftler gegen seine Ernennung zum leitenden Ermittler der Lancet-Kommission aussprechen, wird dies den Erfolg einer Zensurstrategie widerspiegeln, die es Daszak nicht nur ermöglicht hat, sich selber einer ernsthaften Prüfung zu entziehen, sondern auch, dass er damit beauftragt wurde, Nachforschungen über sich selbst und seine Mitarbeiter zu betreiben.
---
Ende des Artikels
Übersetzt mithilfe einer Übersetzungs-Software und anschließender Überarbeitung sowie Hinzufügung von [Anmerkungen in Eck-Klammern] durch die GenAG/attac-Bielefeld (November 2020)
---
Daten des Originals-Artikels:
Titel: Scientists outraged by Peter Daszak leading enquiry into possible Covid lab leak
Autor: Jonathan Matthews
Datum: 23 September 2020
URL: https://gmwatch.org/en/news/latest-news/19538