GMWatch.org meldete kurz:
Der Rotstift Gottes? Die Mär vom präzisen Genome Editing
Eine Propagandakampagne soll uns davon überzeugen, dass Genome Editing eine Präzisionstechnologie ist. Nichts könnte jedoch weiter von der Wahrheit entfernt sein, schreibt der frühere Gentechniker Dr. Jonathan Latham.
http://gmwatch.org/news/latest-news/16900
------ beginn des Artikels:
Der Rotstift Gottes? CRISPR und die drei Märchen von präziser Genom-Editierung
Autor: Jonathan Latham, PhD
Publiziert: 25 April 2016
Veröffentlicht bei: Independent Science News, 25 Apr 2016
http://www.independentsciencenews.org/science-media/gods-red-pencil-crispr-and-the-three-myths-of-precise-genome-editing/
Zum Nutzen jener Teile der Welt, wo die Akzeptanz der Bio-Technologie unvollständig ist, findet gerade unter Volldampf ein Werbe-Krieg-Überfall statt.
Er betrifft eine aufkommende Reihe von Methoden, um die DNA von lebenden Organismen zu verändern.
„Leichte DNA-Editierung wird die Welt neu machen, schnallen Sie sich an“, „Wir haben die Technologie, um alle Zika-Mücken zu zerstören“[1] und „CRISPR: Gen-Editierung ist nur der Anfang“ (CRISPR ist die Abkürzung für CRISPR/Cas9, was wiederum ein Kürzel ist für: Clustered Regularly-Interspaced Short Palindromic Repeats/CRISPR associated protein 9; Jinek et al., 2012. Das ist eine Kombination aus einer Leit-RNA und einem Eiweiß, das DNA schneiden kann.)
Die Hybris ist alarmierend, aber das subtilere Element in dieser Propaganda-Kampagne ist die größte und gefährlichste Unwahrscheinlichkeit von ihnen allen, nämlich daß CRISPR und verwandte Gen-Technologien „Genom-Editierung“ seien (Fichtner et al., 2014). Das heißt, daß sie fähig seien, präzise, sorgfältige und spezifische Veränderungen zu bewirken.
Sogar die „ernsthaften“ Medien sind mit dabei.
Das Magazin Nature veröffentlichte im Juli 2015: „Super-muskuläre Schweine, erschaffen durch ein kleines genetisches Frisieren [oder: Zwicken]“. Das sind zwei Bewertungen in einer Überschrift aus 7 Wörtern: „klein“ und „Zwicken“, keine von beiden wird durch den Inhalt des Artikels bestätigt. Immer noch entfesselt, wenn nicht sogar originell, offerierte die New York Times erst letzte Woche in ihrem Meinungs-Teil: „Gene zwicken, um Arten zu retten“.
Woher weiß ich, daß das ein Propaganda-Krieg ist? Ich weiß es aus erster Hand. Im Februar war ich auf einer UN-Tagung zur Bio-Technologie in Rom, wo ein Senior-Vertreter der Biotechnology Industry Organisation (BIO) den versammelten Delegierten die „exquisite Spezifizität“ und „Präzision“ der Genom-Editierung erklärte.
Märchen Nummer 1: Die gegenwärtigen Genom-Editierungs-Technologien neigen nicht zu Fehlern
Die Darstellung von BIO wird von der Evidenz lügen gestraft. Falls CRISPR präzise, sorgfältig und spezifisch wäre, dann würde es zum Beispiel keine Publikationen in bedeutenden Wissenschafts-Journalen mit dem Titel geben:„Verbesserung der Spezifizität der CRISPR-Cas-Nuklease durch Benutzung [zurecht]gestutzter Leit-RNA“.
Und diese Artikel würden nicht mit einer Beschreibung davon beginnen, wie übliches CRISPR „Mutationen an Stellen herbeiführen kann, die um bis zu 5 Nukleotide von dem beabsichtigten Ziel abweichen“, das heißt CRISPR kann an unbekannten Orten im Genom agieren, wo es nicht gewünscht wird (Fu et al., 2014).
Also muß CRISPR[erst] selber gezwickt werden, bevor es brauchbar für sichere kommerzielle Produkte sein kann, und das ist der erste Irrtum beim Argument eines „Frisierens“. Bisher ist es technisch nicht möglich, eine einzelne (und nur eine einzige) genetische Veränderung an einem Genom mittels der Benutzung von CRISPR herzustellen und sicher zu sein, daß man das so gemacht hat (Fichtner et. al. 2014).
Wie Fichtner besonders bemerkte: „…in Systemen von Säugetieren verursacht Cas9 zu einem hohen Grad Neben-Effekte.“ Und mindestens solange, bis modifizierte Versionen in Gebrauch kommen, wird dies die Sicherheit einschränken, und hoffentlich die Zulassung von CRISPR und den verwandten Bio-Technologien eingrenzen. Außerdem gibt es selbst keine Garantie, daß präzisere Versionen von CRISPR biologisch überhaupt möglich sind. Deshalb ist technische Präzision ein Märchen: keine Art der Genom-Editierung kann das leisten, was momentan von ihr behauptet wird.
Märchen Nummer 2: Präzision kommt Kontrolle gleich
Der zweite Haupt-Irrtum der Verstärker für CRISPR ist, vorauszusetzen, daß gerade wenn wir vollständige Präzision besäßen, dies [dann] die Kontrolle über die Konsequenzen für den hervorgehenden Organismus erlauben würde.
Angenommen ich sollte, als ein nicht Chinesisch sprechender Mensch, aus einem Chinesischen Text präzise ein Zeichen, eine Zeile oder eine Seite entfernen.
Ich würde die 100 % ige Präzision haben, aber keine Kontrolle über die Veränderung der Bedeutung. Daher ist Präzision nur so nützlich, wie das Verständnis, das ihr zugrunde liegt, und sicherlich würde kein DNA-Biologe vorschlagen, wir würden die DNA verstehen – oder warum sonst studieren wir sie?
Ein klassisches Beispiel dafür, wie die DNA Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung weiterhin unerwartete Funktionen enthüllt, ist der CaMV35S – Promotor [aus dem so genannten Blumenkohlmosaik-Virus], eine DNA-Sequenz, die in kommerzialisierten GVO-Pflanzen seit fast 20 Jahren eingesetzt wird.
Der CaMV35S wird in jedem Antrag für kommerziellen Gebrauch als ein einfacher DNA-Promotor beschrieben (ein „an“ Schalter für die Gen-Expression.)
Im Jahr 1999 fand man jedoch heraus, daß der CaMv35S - „Promotor“ für einen rekombinanten Hotspot codiert (Kohli et al., 1999). In 2011 stellte man fest, daß er massive Mengen von kleinen RNA’s herstellt. Diese RNA’s funktionieren wahrscheinlich als Köder, um das Immun-System der Pflanze zu neutralisieren (Blevius et al., 2011). Noch ein Jahr später fanden Regulierer heraus, daß er ein überlappendes virales Gen enthält, dessen Funktionen noch aufgeklärt werden (Podevin and du Jardin 2012). Werden wir genug über irgendeine DNA-Sequenz wissen, um ihre Veränderung richtiggehend als „Editierung“ zu bezeichnen?
Märchen Nummer 3: DNA-Funktionen sind modular und Änderungen vorhersagbar
Der dritte Irrtum der CRISPR-Advokaten ist, davon auszugehen, daß man vermuten darf, daß Veränderungen von Gen-Funktionen abgesondert und erzwungen sind.
Das Konzept der präzisen Editierung eines Genoms, die zu einem präzisen biologischen Produkt führt, hängt sehr von der Konzeption ab, daß Gene einfache Produkte entstehen lassen. Das ist das genetische Paradigma, das in Schulen gelehrt wird. Das ist ebenfalls das Paradigma, das der Öffentlichkeit präsentiert wird, und das selbst im Denken der molekular-biologischen Forscher eine große Rolle spielt.
Ein definierter, diskreter oder einfacher Weg vom Gen zu der Eigenschaft existiert jedoch wahrscheinlich niemals. Die meisten Gen-Funktionen werden im Dunklen durch hoch komplexe biochemische und andere Netzwerke zustande gebracht, die von vielen Bedingungs-Faktoren abhängen, so wie dem Vorhandensein von weiteren Genen und deren Varianten, von der Umwelt, von dem Alter des Lebewesens, vom Zufall und so weiter.
Genetiker und Molekular-Biologen haben jedoch, seit der Zeit von Gregor Mendel, danach gestrebt, künstliche Experimentier-Systeme zu finden oder herzustellen, in denen Umwelt-Einflüsse und jedwede Quellen für Variationen minimiert werden, um nicht von dem „wichtigerem“ Geschäft der Genetischen Entdeckung abzulenken.
Aber durch das Außen-vor-Lassen von Organismen oder Eigenschaften, die nicht ihren Erwartungen entsprechen, haben sich Genetiker und Molekular-Biologen selber ein Zirkel-Argument zugunsten einer naiven deterministischen Darstellung der Gen-Funktion gebastelt.
Ihr Paradigma spielt gewohnheitsmäßig die enormen Komplexitäten herunter, mittels derer Informationen zwischen den Organismen und ihren Genomen (in beide Richtungen) wandern. Das hat eine immense und meistens nicht untersuchte Tendenz in dem öffentlichen Grund-Verständnis von Genen und DNA bewirkt.
Dies ist nicht mein Argument. Es gehört Richard Lewontin von der Havard Universität, wahrscheinlich der berühmteste Genetiker unserer Zeit.
Die Vorteile eines naiven genetischen Determinismus für die Architekten des Genom-Industriellen-Komplex sind sehr groß. Weil der Determinismus sehr danach verlangt, Organismen als Roboter anzusehen, die von Mini-Diktatoren betrieben werden (eher z. B. als Systeme mit emergenten Eigenschaften), und weil [bei ihm] jene Gene Effekte haben, die eng [gefaßt] und klar definiert werden, anstatt daß sie diffus und nicht vorhersagbar sind, vereinfacht er ihren Verkaufs-Standpunkt und gibt den Rahmen dafür, daß eine Risiko-Abschätzung nicht notwendig sei.
Das Problem kommt zu Bewußtsein, wenn diese enge Konzeptualisierung von Genetik auf die reale Welt und Situationen angewendet wird, die so, wie sie waren, nicht auf Fortschritt eingestellt worden sind.
Im Fall der „super-muskulösen“ Schweine, über den Nature berichtete, ist die Stärke nicht ihre einzige Attraktion. Sie müssen ebenfalls über mehr Haut verfügen, um ihren Körper zu bedecken, und über stärkere Knochen, um sie zu tragen. Anscheinend gab es Schwierigkeiten bei ihrer Geburt, und falls sie jemals in die Wildnis freigelassen würden, müßten sie voraussichtlich mehr fressen. Somit kann ein angeblich einfaches genetisches Zwicken weitgehende Effekte auf den Organismus über seine Lebensspanne hinweg haben.
Nature deckte auch auf, daß 30 der 32 Schweine vorzeitig starben, und nur ein Tier galt noch als gesund zu der Zeit, als man die Autoren interviewte. So viel zur Präzision.
Die nicht endende Geschichte
Warum ist diese Erörterung der Präzision wichtig? Weil seit den letzten 70 Jahren alle chemischen und biologischen Technologien, von Gentechnik bis zu Pestiziden, auf einem Märchen von Präzision und Spezifizität aufgebaut worden sind. Sie alle sind unter der Heuchelei adoptiert worden, daß sie ohne Neben-Effekte oder unerwartete Komplikationen funktionieren würden. Doch die außerordentlichen Katastrophen und Rückschläge mit DDT, Bleihaltiger Farbe, Agent Orange, Atrazin, C8, Asbest, Chlordan, PCB’s und so weiter sind, wenn alles gesagt und getan worden ist, Geschichten der stetigen Entwirrung eines grundlegenden Märchens von Präzision und Spezifizität gewesen.
Nichtsdestoweniger wird uns wieder mit der Hilfe von Industrie-Propagandisten, ihren Freunden in den Medien und sogar bei den United Nations der Gospel von der Präzision gepredigt. Aber egal, wie man es betrachtet, Präzision ist eine Fabel, und sie sollte als eine solche behandelt werden.
Die Streitfragen von CRISPR und anderen verwandten neuen „Genom-Editierungs“-Bio-Technologien sind der Gegenstand intensiver Aktivität hinter der Bühne. Das Landwirtschafts-Ministerium der USA hat gerade erklärt, daß es Organismen nicht regulieren wird, deren Genome editiert worden sind, weil es sie überhaupt nicht als GVO ansieht. Die EU stand davor, sie GVO zu nennen, aber die USA haben dafür gesorgt, daß sie blinzeln, währenddessen sich die USA in einem Prozeß befinden, die Umgebung für ihre GVO-Regularien komplett zu überarbeiten.
Werden zukünftige Sicherheits-Regularien von GVO auf einer Version der Genetik für Schüler beruhen und auf einer Interpretation von Genom-Editierung, die in einer Konzern-Werbe-Abteilung ausgedacht wurde? Falls Geschichte einen Hinweis gibt, dann wird das sein.
Quellen:
Blevins, Todd, Rajendran Rajeswaran, Michael Aregger, Basanta K. Borah, Mikhail Schepetilnikov, Loïc Baerlocher, Laurent Farinelli, Frederick Meins Jr, Thomas Hohn and Mikhail M. Pooggin (2011) Massive production of small RNAs from a non-coding region of Cauliflower mosaic virus in plant defense and viral counter-defense. Nucleic Acids Research 39: 5003-5014.
Franziska Fichtner, Reynel Urrea Castellanos, and Bekir Ülker (2014) Precision genetic modifications: a new era in molecular biology and crop improvement. Planta 239: 921-939 (doi:10.1007/s00425-014-2029-y.
Fu Y, Foden JA, Khayter C, Maeder ML, Reyon D, Joung JK, Sander JD (2013) High-frequency off-target mutagenesis induced by CRISPR-Cas nucleases in human cells. Nat Biotechnol 31:822–826.
Fu Y, Jeffry D. Sander, Deepak Reyon, Vincent M. Cascio, and J. Keith Joung (2014) Improving CRISPR-Cas nuclease specificity using truncated guide RNAs. Nat Biotechnol. 32: 279–284.
Martin Jinek, Krzysztof Chylinski, Ines Fonfara, Michael Hauer, Jennifer A. Doudna, Emmanuelle Charpentier (2012) A Programmable Dual-RNA – Guided DNA Endonuclease in Adaptive Bacterial Immunity Science 337: 816-821.
Podevin N and du Jardin P (2012) Possible consequences of the overlap between the CaMV 35S promoter regions in plant transformation vectors used and the viral gene VI in transgenic plants. GM Crops and Food 3: 1-5.
[1] Die Original- Titel der Artikel auf Englisch lauten –in der Reihenfolge ihres Auftauchens: “Easy DNA Editing Will Remake the World. Buckle Up“, “We Have the Technology to Destroy All Zika Mosquitoes“, and “CRISPR: gene editing is just the beginning”.
-- Ende des Artikels --
Übersetzt mit [Anmerkungen in Eck-klammern] und Fußnoten durch GenAG/attac-Bielefeld
*
Weitere aufklärende Artikel zu „neuen“ Methoden der Gentechnischen Veränderung:
I. http://www.attac-bielefeld.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Bielefeld/Gen-Editierung-erzeugt-GVO.pdf
II. http://www.attac-bielefeld.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Bielefeld/kann_Gen-Editierung_ganz_ohne_Nebenwirkungen_sein.pdf
III. http://www.attac-bielefeld.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Bielefeld/wir_sind_nicht_fuer_Gentechnik_vorbereitet.pdf
Eine Gentechnikerin bringt es klipp und klar und kurz auf den Punkt: Gentechnik ist vollkommen anders als herkömmliche oder konventionelle Züchtungen:
http://www.attac-bielefeld.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Bielefeld/gentechnik-ist-sehr-anders.pdf
EXTRA-Hinweis
Das Oberste Gericht der Philippinen hat das Vorsorge-Prinzip bei der Grünen Gentechnik und ihren vorläufigen Halt ab sofort angeordnet:
Das Gericht sah hierfür alle 3 Bedingungen bei GVO-Pflanzen vorliegen:
1. Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen
2. Möglichkeit für irreversible Schäden
3. Möglichkeit für sehr ernste Schäden
Lesen Sie selber auf der Seite 101 des Urteils – bei:
http://sc.judiciary.gov.ph/pdf/web/viewer.html?file=/jurisprudence/2015/december2015/209271.pdf
- * -
URL dieses Dokumentes:
https://www.attac-bielefeld.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Bielefeld/Der_Rotstift_Gottes.pdf